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Strohhalm FAQ

Mein letzter Beitrag zum Strohhalmverbot wird immer noch sehr divers und auch kontrovers diskutiert. Um die Diskussion ein bisschen festzuhalten und auch im Social-Media-Alltag  darauf verweisen zu können, halte ich hier die häufigsten Argumente einmal fest und erweitere diese Liste auch immer wieder, wenn nötig.

 

„Nimm doch einfach die Strohhalme von Zuhause mit!“

Andere Menschen nehmen auch ihre To-Go-Becher mit und Umweltschutz bedeutet halt Umstellung für alle!“

„Warum brauchst du unbedingt Strohhalme, die knickbar und flexibel sind?“

„Trink doch einfach keinen Tee oder Kaffee mehr, dann kannst du auch Strohhalme aus Papier oder Nudeln verwenden.“

 

Mein Kaffeebecher

 

 

„Nimm doch einfach die Strohhalme von Zuhause mit!“

Das ist das Argument, was ich in den letzten Tagen am häufigsten gehört habe – und vielleicht ist es sogar das, was noch am meistens eine Berechtigung hat. Jedoch kommt dieses Argument meist von den Menschen, die keine Behinderung haben und die nicht einschätzen können, was (in meinem) Fall ein Leben im Rollstuhl generell für „Aufgaben“ mit sich bringt. Ich möchte hier nur einen sehr engen Ausschnitt „präsentieren“:

Um ein Laden/ Geschäftt/ Cafe aufzusuchen, das ich noch nicht kenne, muss ich folgende Schritte tun:
– im Internet recherchieren, ob der Laden barrierefrei ist. Manchmal geht das relativ einfach durch solche Dienste wie die Wheelmap. In vielen Fällen bedeutet das aber eine Menge Klickarbeit bis ich an die Information komme. In einigen Fällen muss ich durch meine Sprachbehinderung sogar andere Menschen bitten, vor Ort anzurufen, weil die Informationen einfach nicht da sind.
– Falls der Zielort für mich barrierefrei ist, muss ich schauen, ob die Haltestelle auch barrierefrei ist, weil ich kein Auto habe. < noch mehr Klickarbeit

Ab jetzt ist es völlig egal, ob ich den Laden kenne oder nicht, die folgenden Schritte muss ich IMMER machen:

– Falls die Haltestelle generell barrierefrei ist, muss ich Informationen darüber finden, ob die Aufzüge aktuell funktionieren – und zwar für jeden einzelnen Aufzug, den ich auf der Fahrt brauche.
– Falls alle Aufzüge funktionieren, gibt es zwei Optionen: Wenn ich den normalen Stadtverkehr brauche, kann ich jetzt losfahren. Falls ich aber die Regionalzüge oder gar den Fernverkehr brauche, muss ich alle Aufgaben bisher 1 oder 2 Tage schon vorher erledigen, weil ich mich bei der Bahn anmelden muss, damit die Bahn Zeit hat meine Hilfe beim Ein- und Ausstieg zu organisieren.
– Wenn ich dann wirklich unterwegs bin, muss ich darauf hoffen, dass die Angaben aus dem Internet wirklich aktuell sind und alle Aufzüge tatsächlich funktionieren.

Ich hoffe, dieser Ausschnitt kann einigen von euch zumindest einen leichten Einblick davon vermitteln, wie es für mich ist, im Rollstuhl unterwegs zu sein. Außerdem gehen wir in diesem Beispiel auch nur davon aus, dass alles funktioniert, wie es funktionieren soll. Wenn dies nicht der Fall ist, wird die Liste natürlich um einiges länger.

Das ist einer der Gründe, warum ich mich dagegen wehre, dass ich bzw. Menschen mit Behinderungen in Zukunft auch noch selbst dafür verantwortlich sein sollen, ihre Flüssigkeitsversorgung sicherzustellen. Ich muss schon auf dem Weg so viel beachten, dass ich zumindest vor Ort abschalten können möchte.

Mein zweites Argument dagegen ist etwas theoretischer. Das Problem mit den Strohhalmen ist ein Symbol für das medizinische Modell zu Behinderungen. Verkürzt dargestellt sagt dieses Modell: „Du BIST behindert, also löse deine Probleme selbst und/oder lass dich (durch Therapien / Operationen ) wiederherstellen, sofern es möglich ist.“ Menschen mit Behinderungen sind also hier selbst verpflichtet, Barrieren aus dem Weg zu räumen. Wohlgemerkt Barrieren für die sie nichts können und die meistens von Außen an sie herangetragen werden.

Aus diesem Grund gilt das medizinische Modell seit einigen Jahrzehnten als veraltet. An seiner Stelle ist das soziale Modell getreten, was besagt: „Du WIRST behindert – die Barrieren kommen also von Außen – deswegen kämpfen alle Menschen als Gesellschaft gegen deine Barrieren.“

Wenn Menschen mit Behinderungen also in Zukunft dazu gedrängt werden, dafür selbst zu sorgen, in der Öffentlichkeit trinken zu können, ist das für mich ein ganz klarer Rückschritt ins veraltete medizinische Modell. Stattdessen sehe ich die Gesellschaft und damit vor allem die Industrie und die  Gastronomie-Betriebe in der Verantwortung, passende Alternativen bereitzustellen.

Wie auch andere Menschen, wie zum Beispiel Nina Jaros, auf Twitter schreiben:

Andere Menschen nehmen auch ihre To-Go-Becher mit und Umweltschutz bedeutet halt Umstellung für alle!“

Andere Menschen nehmen ihre To-Go Becher aber freiwillig mit und nicht, weil sie sonst unterwegs nichts trinken können. Natürlich ist es besser nachhaltige Produkte zu benutzen, das ist aber auch gar nicht mein Punkt. Ich befinde mich grundsätzlich in einer anderen Situation: Andere Menschen können auf Becher oder Tassen vor Ort zurückgreifen, falls sie ihren Becher einmal Zuhause vergessen haben sollten. Wenn ich dagegen die Strohhalme Zuhause vergesse, bedeutet das, dass ich aufgrund des Strohhalmverbotes keine Möglichkeit haben werde, dann irgendetwas zu trinken. Ich finde diese unterschiedlichen Situationen lassen sich nur schwer miteinander vergleichen. Für mich ist es etwas anderes , Dinge zu tun, wei man sie für richtig oder gut hält oder Dinge tun zu müssen, weil man sonst nicht am Leben teilhaben kann.

„Warum brauchst du unbedingt Strohhalme, die knickbar und flexibel sind?“

Gerade unterwegs trifft man im Rollstuhl auf so viele unterschiedliche Gegebenheiten. Mal sind Tische zu hoch oder zu niedrig, mal sind sie nicht unterfahrbar und man kommt gar nicht richtig an die Tischplatte ran. Flexibele Strohhalme bieten mir die Möglichkeit, mich diesen Gegebenheiten bestmöglich anzupassen. Mit anderen Strohhalmen komme ich oft in die Lage, andere Leute bitten zu müssen, mir dennoch die Gläser oder Becher anzureichen. Flexible Strohhalme helfen mir also dabei unabhängig zu sein.

„Trink doch einfach keinen Tee oder Kaffee mehr, dann kannst du auch Strohhalme aus Papier oder Nudeln verwenden.“

*Hier bitte ein Seufz-Geräusch einfügen* Erstmal sind Strohhalme aus Papier oder Nudeln auch nur selten flexibel. Außerdem sind sie im Getränk nur begrenzt haltbar. Zweitens sehe ich dennoch keinen Grund dafür, mir von irgendjemanden meine Getränkeauswahl vorschreiben zu lassen. Vielen Dank fürs Gespräch!

6 Kommentare zu Strohhalm FAQ

  1. hallo zusammen,
    ich glaube keiner von der Regierung hat auf die Einrichtungen der Behindertenhilfe geachtet. Ob es eine Tagesförderstätte (TagWerke), eine Wohngruppe, Bildungseinrichtung für Menschen mit Behinderung (Ausbildungsstätte) oder inklusive Schulen und Kitas ist. Aus hygienischen Gründen ist es in diesen Einrichtungen garnicht möglich Mehrwegartikel zu verwenden. Viele Menschen benötigen eh schon eine Menge Hilfsmittel wie eine rutschfeste Unterlage (Die Rolle kostet ca 50 €), einen Tellerrand, einen Ständer aus Holz, der das Glas/ die Tasse/den Becher erhöht, einen knickbaren Trinkhalm, speziell geformtes Besteck (abgeknickt, dicker Griff, extra Lang,schmaler etc.)usw. Also wie soll das möglich sein. Die “Strohhalme” sind unumgänglich für solche Einrichtungen und es sind ja meist mehrere Hundert Klienten in einer Werkstatt, Schule ect

  2. ich verstehe das Problem nicht. Ein Strohhalm ist offenbar je nach Art der Behinderung vor allem in der nötigen Flexibilität ein sehr personalisierter Gegenstand. Warum packt man sich den nicht einfach in die Handtasche oder in den Beutel, dann ist man immer auf der sicheren Seite. Es erwartet doch auch niemand im Restaurant, dass eine Lesebrille bereit gehalten wird, wenn man das Kleingedruckte auf der Karte nicht lesen kann, oder? Ansonsten ist, wie bei der Karte auch, um Hilfe fragen, immer eine gute ALternative.

  3. Diese Pastaalternative, die schlägt man nur vor wenn der Strohhalm nur ein fancy Gadget ist oder?
    Denn sonst ist sie ja unfassbar unsinnig und nicht sinnvoll nutzbar…
    Steht auch massiv in Konflikt mit dem “bring doch von zuhause mit” Argument, weil sie im Rucksack (in dem ja u.a. auch noch die Ente oder Katheter, Einkäufe, Desinfektionsmittel, Badreiniger (für die Ente (Pinkelflasche), die übrigens auch meist aus Plastik ist – die Vorstellung von Silikon und unfreiwilligen Duschen … uaaaha), Feuchttücher (die habe ich sehr schätzen gelernt für Räder treffen auf ekligen Siff), Jacke etc sind) einfach viel zu leicht kaputt gehen und damit nicht sicher verfügbar sind.
    Außerdem ist es Lebensmittelverschwendung in merklichem Ausmaß, denn es ist ja nicht nur 1 Strohhalm zum hippen Cocktail sondern 1 Strohhalm für jedes Getränk am Tag.
    Davon abgesehen dass Nudeln und Hitze nicht sooo gut funktioniert und sie nicht biegsam sind. Und ich würde ihn auch ständig kaputt beißen und hätte also bald keinen Strohhalm mehr – und rohe Nudeln sind nicht mal lecker.

    Und “nimm doch mit” lässt auch außer Acht das es mit nur Halm mitnehmen nicht getan ist, eigentlich musst du auch noch Wasser mitnehmen und am Besten wohl noch eine der Bürsten.
    Denn es könnte ja passieren das man entweder den ganzen Tag unterwegs ist oder einfach nur so Bock auf verschiedene Getränke hat (oder evtl hat man ja auch offizielle Termine, da kann man auch nicht den versifften Halm auspacken) und der Halm muss nunmal gereinigt werden.
    Da Toiletten für Rollstuhlfahrer in Restaurants und Cafés und auch sonst so in Städten und Gebäuden eher Mangelware sind kommt man also eher schwierig zu einem Waschbecken. (Das ist übrigens noch einer meiner “to check” Punkte bevor ich in eine Restaurant gehe, muss ja wissen ob ich da nach Lust und Laune trinken kann oder nur 1 Anstandsglas weil ich ja erst heim aufs Klo kommen muss)

    Aus dem Halm aus dem ich eben einen Chai Latte/Schwarztee/Latte Macchiato/Kaffee getrunken hab danach einen Cocktail oder Saft zu trinken ist aber durchaus eher ugh, wenn dann noch ein drittes Getränk dazu kommt evtl auch mal urks.

    Und warum müssen sie biegsam sein?
    Nicht nur für mehr Selbstständigkeit wie Rollifräulein korrekt anmerkt, sondern auch weil Körper nunmal unterschiedlich geformt sind. Oder manche sich schlicht nicht bewegen können, jmd der Oberkörper und Kopf nicht/kaum bewegen kann (oder auch den Mund nicht weit öffnen zB wg Muskelerkrankungen) weiß einen biegsamen Strohhalm durchaus zu schätzen, weil einfacher in den Mund zu kriegen.
    Oder jemand der behinderungsbedingt einen eher abseits der Norm geformten Oberkörper hat, z.B. ein sehr starkes Hohlkreuz so dass Brust und Bauch deutlich vorgewölbt sind – je nach Gefäß ist es schwierig bis unmöglich ohne Knick zu trinken weil auch wenn ein Assistent das Glas hält das deutlich näher ran muss ohne Knick und das kann dann durchaus mit der Körperform kollidieren, so dass das Halten ein bisschen herausfordernd wird, zumindest ohne was zu verschütten.

    Papierstrohhalme scheinen auch bei Smoothies an ihre Grenzen zu kommen https://twitter.com/crippledscholar/status/1061406996291874823 – das ist nicht mal etwas warmes…

  4. Liebe RolliFräulein,
    vielen Dank für Deinen Artikel. Natürlich wäre es schön, wenn es gar keinen Anlass für den Artikel geben würde. Für mich, die zwar wusste, dass Strohhalme für Menschen mit Behinderungen wichtig sind, war Dein Beitrag sehr interessant, weil mir nicht bewusst war, mit welchen fragwürdigen Argumenten, Du Dich herumschlagen musst. Gerade das Argument, dass Du einfach auf die warmen Getränke verzichten solltest, ist völlig daneben. Auch das Argument, dass Du Deine Strohhalme nicht selbst von zu Hause mitbringen möchtest, ist völlig nachvollziehbar, weil die To Do Liste an Dingen, die Du beachten musst, bevor Du das Haus verlassen kannst, einfach immer länger wird. Und ich finde es wirklich nervig, dass diese EU Regelung nicht einfach auf bestimmte Produkte beschränkt wird und Minderheiten jetzt wieder einen weiteren Punkt haben, um den sie kämpfen müssen.

    viele Grüße

    Emma

  5. Wenn man bedenkt, was Du alles vorbereiten musst, um mal in ein Restaurant oder Cafe zu gehen, dass macht mich traurig. Als Gastronom ist es für mich ein Leichtes (Im größeren Restaurant z.B.) ein oder zwei behinderten gerechte Tische zur Verfügung zu stellen, dazu die Strohalm-Alternativen. Alles wäre so einfach. Von der Bahn mal ganz zu schweigen.

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