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Storytelling und Figuren mit Behinderung

In diesem Artikel möchte ich, eine Erkenntnis mit euch teilen, zu der ich während den Recherchen zu meiner Masterarbeit kam. Im Prinzip ist es durchaus verwunderlich, dass so wenige Figuren mit Behinderung  in der Literatur- und Filmwelt auftauchen. Wie ich zu dieser Meinung komme, warum es dennoch so ist und natürlich, wie wir das ändern können, zeige ich euch diesmal.

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Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich mich wissenschaftlich mit Märchen beschäftigt. Dabei ist mir immer wieder eine Beschreibung untergekommen, die sich auf alle Bereiche mit Geschichten übertragen lässt. In der Fachliteratur heißt es: Märchen erzählen immer von Mangelwesen. Diese müssen im Laufe der Geschichte eine oder mehrere Aufgaben lösen, um ihren Mangel zu beseitigen.

Anders als all die Anderen

Das ist ganz schön abstrakt, deswegen noch einmal konkreter: Das Wort „Mangelwesen“ meint nichts anderes, als das wir zu Beginn der Geschichte eine Figur haben, der irgendwas fehlt, um ein glücklicheres Leben zu führen. Durch diesen Mangel unterscheidet sich die Figur von allen anderen um sich herum. Wer öfter mal Bücher liest oder Filme schaut, weiß natürlich, dass nicht nur Märchen so anfangen. Es braucht meistens eine Figur, die anders ist als ihre Umwelt. Alles sonst interessiert uns als Lesende oder Zuschauende gar nicht – „normal“ sind wir schon selbst genug :)

Wenn wir also von dieser Grundlage ausgehen, ist es doch verwunderlich, dass nicht mehr Menschen mit Behinderungen als Hauptfiguren existieren. Wenn es um die Abgrenzung zur Umwelt geht, haben Charaktere mit Behinderungen offensichtliche Vorzüge. Aus meiner Sicht bringen sie oft von sich aus schon das Komplettpaket für eine interessante Geschichte mit.

zu wenige behinderte Autoren und zu viel Berühungsangst

Auch wenn es toll wäre, bin ich wohl nicht die erste, die zu dieser Ansicht gelangt. Umso interessanter ist natürlich die Frage, warum behinderte Hauptfiguren trotzdem so selten vorkommen. Für mich gibt es bei der Antwort zwei verschiedene Ansätze:

1.) Es gibt zu wenige Autoren mit Behinderungen. Ich bin keine Anhängerin des Grundsatzes, dass man nur darüber schreiben sollte, was man selbst kennt. Aber es stellt nicht-behinderten Autoren natürlich vor einen riesigen Recherche-Berg, wenn sie mit einem behinderten Charakter arbeiten. Aus diesem Grund glaube ich, dass die Anzahl der Figuren mit Behinderungen sichautomatisch vergrößern würde, wenn auch die Zahl der behinderten Autoren stiege.

2.) Autoren sollten einen Grundsatz verinnerlichen, wenn sie ein Publikum erreichen wollen. Sie müssen das Publikum dazu bringen, dass es mit der Hauptfigur empathisiert. Im besten Fall sollen die Zuschauende oder Lesende sich so fühlen, als wenn sie die Hauptfiguren der Geschichte wären. Und hier fängt unser Problem an: Die wenigsten Menschen im Publikum können sich vorstellen, mit einer Behinderung zu leben. Geschweige denn, dass sie in die Rolle eines Menschen mit Behinderung schlüpfen wollen. In Wahrheit wollen sie das Gegenteil: Möglichst viel Platz zwischen sich und einer behinderten Rolle bringen und nicht darüber nachdenken, wie schnell sie selber in eine ähnliche Situation geraten könnten.

Raus aus der Eindimensionalität

Zusammengefasst ergibt sich also eine paradoxe Situation:
Behinderte Figuren erzählen spannende Geschichten, in die sich aber nur wenige Menschen hineinversetzen können oder wollen. Dies betrifft sowohl die Autoren als auch das Publikum. Das Problem lässt aber zumindest zum Teil lösen: Das Publikum braucht mehr Möglichkeiten, um Empathie aufzubauen.
Wie ich schon im „Game of Thrones – Artikel“ schrieb, müssen Charaktere mit Behinderungen aus ihrer Eindimensionalität herausgeholt werden. Es sollte sich  in erster Linie nicht  alles um ihre Behinderung drehen. In den Geschichten sollte immer noch größere Herausforderungen existieren. Auf diese Weise wäre sichergestellt, dass die Figuren noch andere Facetten zeigen müssen, die sie näher ans Publikum binden könnte. Das ist zumindest eine Möglichkeit, um die Geschichtenlandschaft noch vielfältiger und bunter zu gestalten. Natürlich bleibt es am Ende dabei: Wir brauchen vor allem mehr Autoren mit verschiedenen Behinderungen, die uns ihre Wahrnehmung und ihre Erfahrungen zeigen.

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