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Fettnäpfchenvermeidung bei Menschen mit Sprachbehinderung

Bei der Süddeutschen Zeitung ist heute ein großartiger Artikel zum Ungang mit Menschen mit Behinderungen online gegangen. Es ist nicht nur deshalb großartig, weil er wirklich viele nützliche Infos enthält, sondern auch weil er nicht über behinderte Menschen geschrieben ist, sondern von ihnen. Mit Laura Gehlhaar,  Julia Probst, den Querdenkenden und Heiko Kunert hat die Zeitung nicht nur vier Autoren gefunden, die ich persönlich sehr schätze, sondern die auch Experten und Aktivisten auf ihrem jeweiligen Gebiet sind.  Obwohl der Artikel durch diese vier Persönlichkeiten schon sehr breit aufgestellt ist, kann er natürlich nicht alle möglichen Behinderugen thematisieren. Zwar hat Benjamin auch übers Stottern geschrieben, da aber eine Spastik sich noch etwas anders auswirkt, habe ich das wichtigste nochmal zusammengefasst.

Sprachbehinderung

entnommen von: www.aphasiker-lsa.de

Diesen Artikel schreibe ich nicht so sehr als “Rollstuhlfräulein”, denn Laura Gehlhaar hat in den Artikel schon hinreichend auf mögliche Fettnäpfchen bei Rollstuhlfahrern hingewiesen. Eines meiner Lebenmottos ist ja: keine halben Sachen! Dies fängt natürlich bei meiner Behinderung an: Der Rollstuhl ist das halbe Leben, meine Sprachbehinderung die andere Hälfte. Diesen Artikel schreibe ich also   als “Sprachfräulein”, wenn man denn so will. Umso mehr liegt mir dieser Beitrag am Herzen, denn in meinem Alltag erlebe ich meine Sprachbehinderung sehr oft als viel größere Barriere als den Rollstuhl, gerade im Umgang mit fremden Menschen. Natürlich erhebe ich auch diesmal kein Recht auf Allgemeinheit, denn auch Menschen mit Sprachbehinderungen sind alle verschieden, genau wie die Behinderungen selbst. Aber ich hoffe aus meiner subjektiven Sicht heraus einige “Missverständnisse “aufzuklären.

Die Gedanken sind frei

Diesem Punkt möchte ich nur ganz kurz ansprechen, wel er sich im wesentlich nicht von der Problematik anderer Behinderungen unterscheidet, trotzdem ist er der Grundstein der folgenden Schritte. Eine Sprachbehinderungen muss nicht mit einer geistigen Behinderung einhergehen. Ich sage bewusst: muss nicht. Natürlich kann es so sein. Aber ihr solltet nicht automatisch davon ausgehen.  Am besten ist es immer ein Versuch zu wagen, also eine Frage zu stellen, und zu warten, ob und was zurückkommt. Wenn ihr euch wirklich vorher absichern wollt, fragt einfach direkt nach, ob eine geistige Behinderung vorliegt.  Mit der Tür ins Haus zu fallen ist auf jeden Fall besser, als mit einem normalen denkenden Menschen zu reden wie mit einem Fünfjährigen oder ihm ganz zu übergehen und nur mit der Begleitperson zu sprechen.

 

Nachfragen oder nicht nachfragen – das ist hier keine Frage.

 Ich weiß, dass ich hier direkt den größten wunden Punkten der meisten Menschen treffe. Ich kann verstehen, dass Leute darüber nachdenken, ob sie nachfragen solllen oder besser nicht, denn natürlich ist es ein unangenehmes Gefühl, wenn man etwas nicht versteht, was ein anderer gesagt hat und noch unangenehmer ist es, dann denjenigen auch noch darauf hinzuweisen. Wie gesagt ,  das verstehe ich völlig, trotzdem gibt es auf diese Frage nur eine mögliche Antwort: Ja, ihr sollt nachfragen! Um es noch direkter zu formulieren: Ihr MÜSST sogar nachfragen! Wenn es nötig ist, sogar zwei – oder dreimal. Nein, das ist nicht unhöflich. Es ist unhöflich, wenn ihr es nicht tut.  Der Grund ist einfach: man merkt es zu 98%, wenn ihr es nicht tut. Ich persönlich merke es selbst bei meiner eigenen Mutter. Einfach, weil die Reaktionen der meisten Menschen nicht zu dem passt, was ich vorher gesagt habe.  Es gibt fast nicht frustierendes als das Wissen, dass dein Gesprächspartner dich nicht verstanden hat, aber auch nicht nachfragt. Wie soll so ein angenehmes Gespräch stattfinden? Außerdem rückt es den Gesprächspartner, besonders einen fremden,  in ein schleches Licht, denn ein Nicht-Nachfragen lässt genug Raum für Vermutungen, die nicht schmeichelhaft für den Gesprächspartner sind:

  • Es ist ihm egal, was ich sage
  • Er hat Angst vor mir
  • Er hält mich für doof
  • Er ist selbst doof

Auf jeden Fall hinterlässt es kein sympathischen Eindruck, während ein Nachfragen in den allermeisten Fällen nur eines symbolisiert: Interesse.

Geduld haben

Interesse ist auch ein gutes Stichwort, wenn es um den Beginn eines Gespräches geht. Von meinem Charakter her, bin ich kein schüchterner Mensch, aber meine Sprachbehinderung lässt mich sehr zurückhaltend im Umgang mit fremden Menschen sein. In meinem persönlichen Fall hat es sogar schon gewisse Züge einer Sozialphobie. Begegnungen mit fremden Leuten machen mir wirklich Angst, obwohl ich es eigentlich liebe neue Leute kennenzulernen und meinen Horizont zu erweitern. An sich bin ich ein äußerst geselliger Mensch.  Aber die Vorstellung mit fremden Menschen zu reden kann dazu führen, dass ich schon Tage lang vorher nicht mehr besonders gut schlafen. Das ist leider gleich ein doppelter Teufelskreis. Gerade mit einer Sprachbehinderung sollte man offen auf andere Leute zu gehen, um Vorurteile abzubauen. Zudem verstärkt jede Form von Stress meine Spastik, was dazu führt, dass ich die einzelen Buchstaben schlechter formen kann und dementsprechend undeutlicher rede.  Etwas, was mir wirklich hilft, um deutlicher zu sprechen, sind Menschen, die a) Interesse haben, oder b) Ruhe bewahren oder c) am besten eine Kombination aus beiden Faktoren.

Meine Unsicherheit beruht auf dem Wissen, dass es gerade für fremde Menschen schwierig ist, mich zu verstehen und sie erstmal eine gewisse Menge an Mühe investieren müssen, um sich mit mir zu unterhalten. Wenn ich aber auf fremde Menschen treffe, kann ich nicht wissen, ob sie diese Mühe auf sich nehmen wollen. Aus diesem Grund bleibe ich am Anfang sehr kurz angebunden.  Wenn jemand trotzdem eine oder zwei weitere Fragen stellt, oder eben nochmal nachfragt, was ich gesagt habe, merke ich, dass derjenige bereit ist, sich mit mir auseinanderen zu setzen und mutiere oft in sehr kurzer Zeit zur absoluten Labertasche. ;-)

 

Alternativen anbieten

Dieser Punkt hängt mit dem Vorherigen zusammen, kann also eine persönliche Vorliebe zu sein, schadet aber auch bei anderen bestimmt nicht.

Ich mag zwar nicht mit fremden Leuten persönlich reden, aber mein absoluter Alptraum ist es, mit fremden Leuten zu telefonieren.  Beim persönlichen Gespräch hat mein Gegenüber  zumindest teilweise die Möglichkeit  Wörter aus meiner Mimik abzulesen. Beim Telefonieren fehlt diese Möglichkeit natürlich, was mich noch nervöser werden lässt. Zum Glück geht die Kommunikation per Email schon sehr weit, aber ich verstehe auch, dass in eigenen Fällen es praktischer ist etwas übers Telefon zu klären. Aber gerade wenn Handynummer ausgetauscht werden sollen, ist telefonieren ja dank Smartphone längst nicht mehr die einzige Möglichkeit kurzfristig zu kommunzieren. Ein Mitarbeiter von der Firma Mclean, die meinen neuen Rollstuhlsitz baut (später mehr), hat mir vor kurzem als erster professioneller Kontakt von sich aus angeboten, neben der Email per SMS mit mir zu kommunizieren. Ich bin immer noch schwer begeistert und wünsche mir sehr, dass dies bald öfter vorkommt. Es würde mir sehr viel mehr Selbständigkeit ermöglichen, wenn ich Dinge, die aus Zeitgründen nicht per Email zu regeln sind, per Sms oder Whatsapp regeln kann und nicht entweder meine Assistenten vorschicken oder schlaflose Nächte erleben muss.

Nochmal: Nicht jeder Mensch mit Sprachbehinderung muss auf das Telefon so panisch reagieren, aber Alternativen zu haben hat noch nie jemanden geschadet :)

3 Kommentare zu Fettnäpfchenvermeidung bei Menschen mit Sprachbehinderung

  1. Hallo :-)
    Ich bin immer wieder überrascht (ja, auch ich kann mich nicht davon freisprechen), wenn ich Menschen mit einer Sprachbehinderung begegne, mit denen ich vorher ausschließlich schriftlich kommuniziert habe. Oder von denen ich (wie in Deinem Fall) vorher viel gelesen habe. Das war für mich anfangs schwer zusammen zu bringen. Aber ich stelle immer wieder fest, dass es mir nach ein paar Minuten relativ leicht fällt, das Gesagte zu verstehen, oder nachzufragen. Wobei mir das Nachfragen sehr schwer fällt, das hängt mit meinen eigenen Einschränkungen zusammen.

    Mittlerweile kenne ich einige Menschen mit Sprachbehinderung, mit und ohne geistiger Behinderung. Trotzdem muss ich immer wieder darauf achten, nicht ins Fettnäpfchen zu treten… Deshalb fällt mir die schriftliche Kommunikation in solchen Situationen deutlich leichter, da ist die Barriere einfach nicht vorhanden und es ist für beide Seiten viel leichter. Noch leichter wird es, wenn ich einen Rechner vor mir habe, mit einer ordentlichen Tastatur. Dann kann ich fast genau so schnell kommunizieren wie mit Sprache. Mit dem Smartphone fällt mir das deutlich schwerer, weil ich das Tippen darauf als wesentlich schwieriger empfinde.

    Danke für den Blogpost, in Zukunft werde ich versuchen, mehr und direkter nachzufragen! :-)

    Grüße

    Wusel

  2. Danke :-) Jetzt fühle ich mich als Mensch ohne Sprachbehinderung (Schüchternheit kann auch hindern :P ) wesentlich sicherer. Mir ist es immer extrem peinlich, wenn ich etwas nicht verstehe, egal, von wem. Ich fange an zu denken und höre nur noch halb hin. Aber… jeder hat seine Besonderheiten :-)

  3. Liebe Tanja, ich bin jetzt gerade über die Kommentiertag-Liste auf deinen Blog gestoßen. Ich bin ebenfalls sprachbehindert, da mir nach einer Krebserkrankung in der Mundhöhle ein Teil meiner Zunge fehlt. Ich kenne diese Alltagsituationen nur allzu gut. Dieses unangenehme Gefühl, dass andere Menschen diese Sprachbehinderung mit einer geistigen Einschränkung verbinden und plötzlich Gespräche inhaltslos werden, weil das Gegenüber vermutet man könne ihm ohnedies nicht folgen. Ich habe mir angewöhnt, am Anfang eines möglichen Gespräches sofort den Grund meines Handicaps zu erwähnen. Die meisten Menschen sind sichtlich erleichtert, denn beinahe jeder macht sich Gedanken, weshalb ich so eigenartig spreche. Oft ist die Erwähnung auch ein Anknüpfungspunkt für ein interessantes Gespräch, denn ich gehe sehr offen mit meiner Erkrankung um.
    Schöner Blog übrigens, ich werde wieder kommen ;-)
    Liebe Grüße aus Salzburg, Claudia

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